AUDIO MOBIL veröffentlicht in der ZfAW, der Zeitschrift für die gesamte Wertschöpfungskette Automobilwirtschaft

Es war ein mühsamer Weg des Menschen von der reinen Fortbewegung per pedes über die Verwendung von Pferdegespannen bis hin zur Erfindung motorisierter Kraftfahrzeuge. Eines ist dabei klar erkennbar: Unsere Motivation größere Entfernungen effizient und sparsam hinter sich zu bringen. Im Rahmen der Mobilität 3.0 werden diese Attribute nun durch Komponenten moderner Kommunikationsmittel ergänzt. Auch im Fahrzeug „always connected“ zu sein ist heutzutage nicht nur für die Marketingabteilungen der Automobilhersteller ein Muss. Auch die Generation „Smartphone“ will das digitale Schweizer-Messer nicht mehr missen, wenn sie eine längere Wegstrecke hinter sich bringt.

Verkehrsgefahren werden in dieser Zeit der digitalen Revolution gerne außer Acht gelassen oder zumindest runtergespielt. Was aber steckt wirklich hinter der Evolution der Fortbewegung? Welche Möglichkeiten eröffnen sich durch diese Art der Kommunikationstechnologien? Ist der Mensch den technischen Gegebenheiten überhaupt gewachsen oder bedarf es mehrerer Generationswechsel, um solche Themen wirklich nachhaltig zu etablieren? Öffnen wir uns dem autonomen Fahren und sind wir uns der potentiellen Risiken bewusst?

Viele Fragen, denen sich zahlreiche Wissenschaftler auf deren Wissensgebieten empirisch nähern und die auch uns Auto-Lenkerinnen und -Lenkern Verbesserungen und Erleichterungen bringen. Derzeit stellen die divergierenden Lifetime-Zyklen der Elektronik-Industrie auf der einen Seite und der Automobilindustrie auf der anderen Seite ein unharmonisches Bindeglied dar. Die Automobilindustrie sollte dabei idealerweise bestrebt sein, den vorherrschenden Paradigmenwechsel gemeinsam mit der IT-Branche zu absolvieren. Die technischen Voraussetzungen müssen in absehbarer Zeit zumindest abgestimmt adaptiert werden. Wo aber bleibt in diesem Kontext der Mensch, der eigentliche Nutzer des vernetzten Fahrzeugs?

Thomas Stottan, CEO des im oberösterreichischen Ranshofen ansässigen R&D-Studios AUDIO MOBIL Elektronik GmbH blickt visionär auf die spannenden Möglichkeiten des vernetzten Fahrzeugs nebst den forschungsrelevanten Themen im Hinblick auf die Human-Machine-Interaction.

Einleitung

AUDIO MOBIL beschäftigt sich seit über 25 Jahren mit der CarICT. In der täglichen Entwicklung moderner Bediensysteme ist man bestrebt, den Alltag der Fahrzeugnutzer zu vereinfachen und hat sich auf diese Weise als kompetenter Entwicklungspartner für die Automobilindustrie etabliert. Aus dieser Tätigkeit ergeben sich einige spannende Herausforderungen: Was hat das Auto mit individueller Mobilität zu tun? Bewegt man sich noch individuell, wenn man damit zum Beispiel im Stau steht? Fragestellungen, denen wir uns nachfolgend über unterschiedliche Zugänge widmen.

Betrachtet man die Generationen der individuellen Mobilität, fällt einem die evolutionäre Veränderung der persönlichen Fortbewegung auf. Die Mobilität 1.x (7 Mio. Jahre vor Christus bis etwa 1800 nach Christus) beschreibt dabei etwa die Metamorphose des Menschen in seinem Bewegungsverhalten seit dem Urknall über die Erfindung des Rades bis hin zum Einsatz von Streitwagen und Pferdegespannen – bereits eine deutliche Erweiterung des Mobilitätsverhaltens und Reichweitenbedarfs. Eine rein muskelunterstützende Maßnahme zur Reichweitenverlängerung also, um es auf das Wesentliche zu reduzieren und damit als erste Evolution der Fortbewegung des Menschen zuordenbar.

Die zahlreichen Zwischenstufen der Mobilität 2.x stehen in diesem Kontext für die Entstehung der Dampfmaschine und ersten mechanisch motorisierten Fuhrwerken im Zuge der industriellen Revolution in den Anfängen des 17. Jahrhunderts. Auch hochmoderne Antriebskonzepte – sei es Hybrid- oder Elektroantrieb in den unterschiedlichsten Ausprägungsstufen – sind lediglich eine Vorstufe zur künftigen Mobilität 3.0 .
Aller Wahrscheinlichkeit nach eine weitere Revolution der individuellen Fortbewegung. Die Mobilität 3.0 ist dabei das Ergebnis der Nutzung unserer Intelligenz, individuelle Mobilitätsformen zu nutzen – so, wie wir in den Anfängen die menschliche Körperkraft zu anzuwenden gelernt haben. Klar ist heute, dass die individuelle Fortbewegung nicht rein an das Auto gebunden ist, sondern durch Nutzung verschiedenster Transportmittel abgebildet werden kann.

Ist ein Bus ein öffentliches Verkehrsmittel? Wenn ja: was ist dann ein gecharterter Reisebus?
Sind wir im Stau mit dem Auto individuell mobil oder doch fremdgesteuert? Generell ist die Mobilität individuell. Somit ist es notwendig, einige Begriffe neu zu definieren: Nennen wir es das „Ökosystem der Mobilität“.

Ökosystem der Mobilität

Lösen wir uns von den einschränkenden Begrifflichkeiten des Individualverkehrs und Öffentlichkeits-Verkehrs, können unterschiedliche Einflüsse neu definiert werden. Das Ökosystem der Mobilität unterscheidet sich in folgende Kernthemen mit daran anhängigen beispielhaft angeführten Themen- und Zuordnungsgebieten:

Einzeltransportmittel (autonom):

  • Radfahrerinnen
  • Fußgängerinnen
  • Massentransportmittel
  • Schiffsverkehr
  • Flugzeugverkehr
  • Straßenbahnen
  • Busse
  • U- und S-Bahnen
  • Zugverkehr

 

Infrastruktur:

  • Verkehrsleiteinrichtungen
  • Straßennetz
  • Parkplätze
  • Baustellen
  • Siedlungsstrukturen
  • Energieversorger

 

Informationsstruktur:

  • Wetter
  • Cityinformationen
  • Tourismusinfoformationen
  • Verkehrsinformationen

 

Einzeltransportmittel (motor.):

  • PKW´s
  • LKW´s
  • Einspurige KFZ´s

 

Kern dieser Bestandteile des Ökosystems der Mobilität ist die individuelle Fortbewegung, die der Mensch in größtmöglicher Effizienz anstrebt.  Die Komplexität des Ökosystems Mobilität steigt. Um die angestrebte Effizienz langfristig erzielen zu können, bedarf es dem Einsatz neuer Technologien wie der ICT (information- and communication-technology). Damit verbunden sind grundlegende Entscheidungen hinsichtlich der Datenschutzsicherheit. Technische Lösungen, welche den Anforderungen des derzeit höchsten Datenschutzstandards, dem „European Privacy Seal“, entsprechen, sind zwischenzeitig entwickelt und im Markt etabliert. Als ein Beispiel sei das xFCD-System der AMV-Networks GesmbH angeführt.

Evolution des vernetzten Fahrzeugs

In diesem Zusammenhang wollen wir die Evolution des vernetzen Fahrzeugs – gleich der Evolution der Mobilität – aufgreifen und die zum Einsatz gekommenen Technologien beziehungsweise künftig zum Einsatz kommende Technologien betrachten. Welche Formen der Kommunikationsstandards gab es in der Vergangenheit, welche sind aktuell im Einsatz und mit welchen Entwicklungen kann gerechnet werden?

Begonnen hat die Vernetzung der Fahrzeuge mit den sogenannten Nomaden: Den Smartphones, Handys und mobilen Navigationssystemen, die man mit dem Fahrzeug verbunden hat (N2C), um beispielsweise die Freisprechanlage anzubinden, die personalisierte Music-Play-List in das Fahrzeug zu integrieren oder das Gerät als mobile Navigationslösung zu verwenden. Techniken, wie sie auch heute noch zum Einsatz gelangen. Mittlerweile Gültigkeit bekommen hat die Implementierung gemeinnütziger Daten in das Fahrzeug x-to-Car (x2C) und umgekehrt Car-to-X (C2x). So wird man heute vor Unfällen auf der geplanten Strecke gewarnt, bekommt Hinweise zu nahen Parkmöglichkeiten oder wird über die Geschwindigkeitsbeschränkung am jeweiligen Standort informiert. Alles Techniken und Standards, die heute bekannt sind und gerne verwendet werden.

Was die Fahrzeugvernetzung künftig so wertvoll machen wird, ist die Kommunikation der Fahrzeuge untereinander sowie der Einsatz personalisierter Daten in Kombination mit der Infrastruktur. Ob das Elektrofahrzeug also in absehbarer Zeit eine Aufladung benötigt und das Fahrzeug selbstständig nach geeigneten Möglichkeiten für eine Beladung sucht oder ein vorausfahrendes Fahrzeug die nachfolgenden FahrerInnen vor Hindernissen warnt. All dies wird das Mobilitätsverhalten nachhaltig beeinflussen und vor allem die Sicherheit signifikant erhöhen. Die Vorteile für die individuelle Fortbewegung sind dabei noch gar nicht mitbewertet. Eine nahtlose Abdeckung der anzutretenden Wegstrecke, bewertet nach größtmöglicher Effizienz und abhängig von verfügbaren Verkehrsträgern oder Fahrzeugen, wird die Mobilität der Zukunft gänzlich verändern. All das ist natürlich noch Zukunftsmusik – bislang. Um diese Evolution jedoch zeitnah anstoßen zu können, bedarf es einer breiten Akzeptanz der Fahrzeugvernetzung und die Nachvollziehbarkeit der angewandten Technologien.
Experten sind der einhelligen Meinung, dass eine effiziente Fortbewegung künftig ausschließlich mit individueller Vernetzung realisierbar ist. Dabei bilden die beiden Bausteine Auto sowie die ICT (information- and communication-technology) den vollständigen Bereich der Mobilität 3.0 ab.

Das Grundprinzip der Fahrzeugvernetzung

xFCD – „extended floating car data“ steht im Rahmen der Fahrzeugvernetzung für die Basistechnologie und generiert Kommunikationsformen zwischen Fahrzeugen und der Infrastruktur n Form von C2x- und x2C-Technologien. Car2x liefert fahrzeugspezifische Daten (Position, Geschwindigkeit, Treibstoffmenge, Kilometerstand, und viele andere Parameter mehr) anonymisiert an ein unabhängiges Rechenzentrum, das diese Daten wiederum anonymisiert an Infrastruktur-Maßnahmen weiterreicht und auf diese Weise Verkehrsinformationsdienste, Verkehrssteuerungsmaßnahmen und ähnliche Instrumente steuert. Eine Win-Win-Situation für Fahrzeuglenkerinnen und Fahrzeuglenker ebenso wie für Anbieter von Informationsdiensten. Natürlich stets unter der obersten Prämisse der Datensicherheit und dem personalisierten Datenschutz.
Die offenen Fragen hierzu sind längst geklärt, einzig die Gesetzgebung und ein global zu verwendender Standard sind zeitnah zu konsolidieren. Nicht zuletzt die Automobilindustrie muss die Zeichen der Zeit möglichst bald erkennen und nachhaltige, intelligente Lösungen für die wenigen noch offenen Punkte bereitstellen.

Anwendungsbeispiele für Datenbereitstellungen

Die Einsetzbarkeit der Datenbereitstellungen ist ein Feld der beinahe unbegrenzten Möglichkeiten. Beginnt man mit dem Marktsegment „Business to Business“, so kann man von individuellen Werkstattservice-Anwendungen, Car-Finder-Lösungen, Leasing-Modellen, elektronische Fahrtenbücher mit direkter Verrechnung an Behörden über Car-Sharing-Modellen bis hin zu Flotten-Management-Modellen viele Einsatzgebiete aufzählen.

Ein weiteres Marktsegment kann mit „Business to Government“ bedient werden, wo Einsatzsteuerungen von Blaulicht-Organisationen ebenso positiv beeinflusst werden können, wie die allgemeine Verkehrsplanung, Geisterfahrer-Warnungen, die Parkraumbewirtschaftung oder generell der öffentliche Personen-Nahverkehr, kurz ÖPNV.

Allesamt Geschäftsfelder, die sich – wenn überhaupt – erst in den Anfängen befinden und denen noch in mehrfacher Hinsicht Erfolg attestiert werden kann. Sollte der Automobilindustrie nicht zeitnah gelingen, diesen attraktiven Markt für sich zu nutzen, werden Mobilitäts-Quereinsteiger wie Google und Apple diesen nachhaltig zu besetzen wissen.

Car-ICT Marktentwicklung in Europa

Alle Technologien im Rahmen der Fahrzeugvernetzung versprechen jedoch nicht nur mehr Sicherheit und Effizienz im Rahmen der künftigen Mobilität. Dabei nicht außer Acht gelassen werden sollte das alleine für Europa prognostizierte Umsatzvolumen von rund 150 Milliarden Euro pro Jahr. Einer ersten vorsichtigen Schätzung zufolge wohlgemerkt.

Dies wird dank des Einsatzes moderner Telekommunikationsstandards wie zum Beispiel LTe oder der Implementierung des von Gesetzgeberseite geforderten eCall voraussichtlich im Jahr 2018 unterstützt. Ein ungemein lukratives Marktsegment also, das sich uns erst in seinen Anfängen präsentiert. Die Informations- und Kommunikations-Technologie (ICT) ist damit der eigentliche Treibstoff der Zukunft – ungeachtet vorherrschender Antriebsdiskussionen.

Ablenkung als wahres Gefahrenpotential sicherer Fortbewegungs-Modelle

Wie in den vorangegangenen Kapiteln aufgezeigt, sind viele Vernetzungs-Technologien marktreif und würden sich mit wenig Einsatz von Mitteln zeitnah im Markt integrieren lassen, aber: Was in diesem Zusammenhang auf keinen Fall außer Acht gelassen werden darf, ist die sich exponentiell zur Automobilindustrie entfaltende Medienentwicklung.

Hat das Radio noch 38 Jahre dafür benötigt, um eine Reichweite von weltweit 50 Millionen Nutzern zu erzielen, konnte dies beim Medium Fernsehen in nur 13 Jahren erreicht werden. Das Mobiltelefon verzeichnete in 11 Jahren 50 Millionen Nutzer, das Internet schaffte diese Hürde nach nur 3 Jahren. Soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter, um nur die populärsten zu nennen, haben lediglich 9 Monate dafür benötigt, um eine Nutzeranzahl von weltweit unglaublichen 100 Millionen zu erreichen. Eine extreme Ausdehnung in kürzester Zeit also – welcher die relativ langsamen Zyklen der Automobilindustrie gegenüberstehen. Das Automobil hat 60 Jahre für eine Nutzeranzahl von 50 Millionen benötigt. Ein sehr ungleicher Rhythmus also, den Automobilbauer so schnell wie möglich ausgleichen müssen, will man die begehrte Kundschaft künftig für seine Produkte interessieren.

In diesem Kontext ebenfalls unbedingt beachtenswert ist die Ablenkung der Fahrzeuglenkerinnen und Fahrzeuglenker durch zu viele Funktionen und Dienste.

Waren es 1983 neben dem eigentlichen Steuern des Fahrzeuges noch recht überschaubare sieben Funktionen, die eine Fahrzeuglenkerin und ein Fahrzeuglenker zu beherrschen hatten (Tacho, Tankuhr, Blinker, etc.), waren es 2010 bereits 38 Funktionen und mehr. Heute ebenfalls nutzbare Dienste noch gar nicht mitgerechnet. Man zählt etwa 60 Features, mit denen man in einem gut ausgestatteten Mittelklasse-Fahrzeug konfrontiert wird (Regensensor, Rückfahrkamera, Einparkhilfe, etc.). Eine Anzahl, die unsere neuronale Belastungsgrenze bereits weit überschritten hat, zieht man Überlegungen wie denen des Mooreschen Gesetzes [1] oder Buxton´s Law [2] heran. Und zwar insoweit, als dass man um die Jahrtausend-Wende die Belastungsgrenze bereits hinter sich gelassen und sich damit der Technik in einem Ausmaß ausgeliefert hat, die der moderne Mensch nur mehr unter Aufbietung all seiner neuronalen Reserven zu steuern weiß. Die technische Entwicklung schreitet schneller voran als deren Handhabe.

Dies noch in Verbindung mit dem Lenken eines Fahrzeugs zu machen, übersteigt unsere kapazitiven Fähigkeiten enorm. Im Gegensatz zur technologischen Entwicklung stagniert die menschliche Evolution im Rahmen der kognitiven Leistungsfähigkeit. Das Fahrerumfeld veränderte sich in den vergangenen 30 Jahren drastisch und stellt deutliche gestiegene Anforderungen an den Fahrzeuglenker dar. Der Anstieg der Funktionalitäten bei gleichbleibender menschlicher Sinneskapazität stellt ein hohes Risiko an die Fahrzeuginsassen-Sicherheit dar.

Der Auftrag an die Automobilhersteller ist klar zu definieren. Sensorik und die damit verbundenen Helfer in modernen Fahrzeugen sind natürlich sicherheitsfördernd. Ob Assistenzsysteme und Sensoren allerdings einzeln durch die Fahrzeuglenker aktiviert oder deaktiviert werden müssen, bleibt fragwürdig. Auch die Integration des Smartphone in das Fahrzeug ist nicht die Lösung aller Probleme. Die Frage und der Lösungsansatz dahinter ist vielmehr, wie sich unsere individuell angepassten Smartphone-Funktionen gut nutzbar in die Fahrzeug-Architektur integrieren lassen, um eine Nutzung auch während der Fahrt gefahrlos zu gestalten.

Im Hinblick auf die voranschreitende Fahrzeugvernetzung und den Wünschen nach autonomer Fortbewegungsart wird man jedoch ohnehin die heutige Fahrzeug-Struktur überdenken müssen. Ziel muss ganz klar die „Humanisierung“ der Technik sein – die Anpassung der technischen Lösungen an das Individuum Mensch.

Ebenfalls in Betracht zu ziehen ist in diesem Zusammenhang die allgemeine Ablenkung als unterschätzte Gefahr für künftige Fortbewegungsmodelle. Denkt man an täglich vorkommende Situationen wie dem telefonierenden und somit abgelenkten Radfahrer, den bei der Fahrbahnüberquerung durch Musikhören abgelenkten Fußgänger oder andere artverwandte Risikogruppen: Fehlende Interaktionen können auch den derzeit voranschreitenden Modellversuche der Autonomen Fortbewegung ein jähes Ende bereiten.

Fahrzeuganforderungen differieren zwischen den Geschlechtern

Unabhängig von der bewussten Notwendigkeit der plattformübergreifenden Fahrzeugvernetzung, existieren zwischen Männern und Frauen andere Anforderungen an Fortbewegungsmittel. Hier seien demographische Ansätze oder sozial verankerte Grundsatzbetrachtungen einmal ganz außer Acht gelassen. Gerne Verwendung findet beispielsweise die Fragestellung von Damen, wo im Fahrzeug die Handtasche griffbereit und crashsicher platziert werden kann – eine Problematik, die für Männer keinerlei Relevanz hat. In ähnlicher Weise verhält es sich mit digitalen Anwendungen. Experten haben in einer wissenschaftlichen Studie das genderbezogene Nutzerverhalten im Auto – wohlgemerkt während der Fahrt – hinterfragt und sind auf teils bedenkliche Ergebnisse gestoßen.

Wie die Studie „Genderbezogenes Nutzerverhalten im Auto“ [3] gezeigt hat, kommt es zu geschlechterabhängig unterschiedlichen Nutzungshäufigkeiten und Ausprägungen bei Telefonieren, GPS-Funktionalitäten oder Facebook.

Obwohl gesetzlich klar untersagt, ist die Nutzung der Telefonie-Funktion des Smartphones bei Frauen und Männern stark ausgeprägt. Ein leider recht deutlicher Trend hin zu Messaging-Tätigkeiten während der Fahrt wurde in der Studie ebenfalls nachgewiesen.

Erschreckend sind Nutzungen wie e-Banking und Soziale Netzwerke: Unterschiedlich ausgeprägt, was die prozentuale Verwendung zwischen den Geschlechtern anlangt, in Summe aber alarmierend hoch. Hier ist die Gesetzgebung sicherlich angehalten, für die Verkehrssicherheit notwendige Maßnahmen zu ergreifen und damit die direkte Smartphone-Nutzung während der Fahrt entsprechend einzudämmen, um das Ablenkungspotential so gering wie möglich zu halten. Unter anderem fordert der 53. Deutsche Verkehrsgerichtstag 2015 Rahmenbedingungen für Fahrzeughersteller, Produzenten von Informations-, Kommunikations- und Unterhaltungsmitteln sowie für Dienste-Anbieter zu schaffen, um die Möglichkeiten situativer Funktionsunterdrückung zu implementieren. Dies betrifft beispielsweise die Deaktivierung von manuellen Zieleingaben oder die Sperre von Texteingaben während der Fahrt. Zumindest, bis sich alternative Fortbewegungsarten im Rahmen des autonomen Fahrens betriebssicher realisieren lassen.

Fahrer-Ablenkung

Aus wissenschaftlichen Gesichtspunkten unterscheidet man bei der Ablenkung zwischen drei großen Ablenkungs-Gruppen, wenn sich Nutzer auf andere Aktivitäten fokussieren.

Die manuelle Ablenkung, bei der Fahrzeuglenker lediglich eine Hand vom Lenkrad nehmen müssen, um Geräte zu manipulieren. Die visuelle Ablenkung im Rahmen von Aufgaben, die es erfordern, von der Straße wegzusehen. Und letztlich die kognitive Ablenkung, wenn Tätigkeiten es notwendig machen, die mentale Aufmerksamkeit des Fahrzeuglenkers von der reinen Fahraufgabe abzuziehen.

Bewertet man in diesem Kontext den neuronalen Informationsfluss und die kapazitive Gesamtwahrnehmung des Menschen, fällt auf, dass der am meisten ausgeprägte Sinn das Sehen ist. An zweiter Stelle rangiert der Tast-Sinn, der sich jedoch bereits weit abgeschlagen vom Sehen darstellt. Nach dem Tast-Sinn weniger ausgeprägt finden sich die restlichen Sinne wie Hören, Riechen und Schmecken. Es ist also unbedingt anzuraten, Bediensysteme moderner Fahrzeugarchitekturen auf die menschliche „Grundausstattung“ hinsichtlich möglicher Aufgabenerledigung anzupassen. Nur so kann ein modernes, ganzheitliches HMI-System funktionieren.

HMI-Testreihen als wissenschaftliche Grundlage

Das Christian-Doppler-Labor für Contextual Interfaces an der Universität Salzburg unter der Leitung von Professor Manfred Tscheligi hat sich genau diesen Fragestellungen rund um das sinnesphysiologische Ablenkungsverhalten im Rahmen realer Fahraufgaben gewidmet und in den Jahren 2010, 2011 und 2012 umfangreiche HMI-Tests durchgeführt.
Für die Testreihen herangezogen wurden Fahrzeuge unterschiedlichster Fahrzeugkategorien von der Kompaktklasse bis hin zur oberen Mittelklasse.
Ziel der Studie war, das Ablenkungsverhalten im Realbetrieb, also auf der Straße, darzustellen – ein gänzlich anderer Ansatz als beispielsweise die rein Simulator-orientierte Messung der amerikanischen Behörde NHTSA „National Highway Traffic Safety Administration“ (die zivile Bundesbehörde für Straßen- und Fahrzeugsicherheit), die jedoch als Benchmark herangezogen wurde und somit ihrerseits definierte Empfehlungen abgibt.

Die Studien-Ergebnisse [4] sprechen für sich und verlangen nach dringendem Handlungsbedarf. Beinahe kein Fahrzeug dieser Testreihen hat die von der NHTSA geforderten Zeitlimits eingehalten, eine Aufgabe erfolgreich abzuschließen – und das, obwohl die Probanden sich vor dem Test mit den einzelnen Systemen eingehend auseinandersetzen konnten. Teilweise exorbitante Überschreitungen der Normzeit-Vorgaben (Bei einer Zielvorgabe 24 sek. Wurden Real-Werte zwischen 80 und 175 sek. ermittelt) lassen in diesem Bereich des Automobilbaus noch zahlreiche Verbesserungsmaßnahmen zu.

Sprachsteuerung: Nicht der „Stein der Weisen“

Man könnte diesen Ausführungen nun entgegenhalten, dass moderne Systembedienungen Sprachsteuerung beinhalten und so die kognitive Belastung eventuell senken könnten. Dem ist leider nicht so, wie die AAA Foundation for Traffic Safety [5] im Rahmen einer „Mental Workload“-Studie herausgefunden hat.

Bei der Studie wurden Fahrzeuglenkern zusätzlich zur Fahraufgabe verschiedene Aufgaben gestellt, denen jeder Lenker in der Realität täglich ausgesetzt ist. So ist die kognitive Belastung durch einfaches Radio-Hören ebenso in Betracht gezogen worden, wie von der Gesetzgebung erlaubtes Telefonieren über Freisprecheinrichtung, Gespräche mit dem Beifahrer, unerlaubtes Telefonieren mit dem Mobiltelefon oder Eingaben in fahrzeugintegrierte Menüsysteme. Die aufgezählten Tasks haben die Fahrzeugnutzer kognitiv mehr belastet, sodass die reine Fahraufgabe immer mehr in den Hintergrund gerückt wurde.

Die kognitive Belastungsgrenze wurde erreicht, als die Fahrzeugnutzer zusätzlich zum Fahren Speech-to-Text-Aufgaben lösen sollten oder sich per in der Öffentlichkeit populärer Siri-Sprachsteuerung Texte vorlesen ließen. Hier war aus den Messungen klar erkennbar, dass die Fahraufgabe vollständig aus dem Bereich der kognitiven und sinnesphysiologischen Wahrnehmung gedrängt wurde und sich die Probanden nur mehr rein auf die Sprachsteuerungs-Aufgabe konzentriert haben. Im Vergleich zu einer guten konventionellen Menüeingabe mit dem Ablenkungsfaktor 2,8 , schneidet das Spracheingabesystem mit dem Faktor 4,2 deutlich schlechter ab.

Diese Ergebnisse decken sich mit dem im Kapitel „Fahrer-Ablenkung“ angeführten kapazitiven Gesamtwahrnehmungs-Potential des Menschen. Ein wissenschaftliches Aufgabenfeld also, dem sich die Automobilindustrie rasch zu stellen hat, um moderne Bediensysteme der „Grundausstattung“ des Menschen anzupassen. Tippen, Sprechen, Wischen sind als Einzelkomponenten keine Option für ideale HMI-Systematiken. Verschiedene Eingabemethoden auf die „Basisausstattung“ des Menschen und auf den situativ gültigen Kontext abgestimmt, stellen dagegen den anzustrebenden Zustand dar.

Innovative Technologie-Konzepte ebnen Weg zum automatisierten Fahren

Für mögliche Lösungsansätze zur erweiterten Integration der Human-Machine-Interaction, werden Nutzerzonen im Fahrzeug definiert. So teilen wird den Fahrzeuginnenraum in drei Grund-Zonen, die sich wie folgt gliedern:
Die Fahrer-Zone, die alle sicherheitsbedenklichen Interaktionen durchführt, die Beifahrer-/Front-Passagier-Zone als dem Fahrer assistierende Zone und letztlich der Rückbank-Bereich. Diese Zonen-Unterteilung erfordert unterschiedliche HMI-Konzepte und unterstützt dabei, das Ablenkungspotential durch moderne Bediensysteme zu reduzieren bzw. zumindest Zonen-zugeordnet abzubilden und mithilfe Zonen-übergreifender Lösungen das Ablenkungspotential für den Fahrzeuglenker zu minimieren.

Viele Fahrzeughersteller und Zulieferer haben in den letzten Jahren versucht, auf dem weiten Gebiet der Informationsbereitstellung Kompetenzen aufzubauen und diese in innovative Innenraum-Konzepte einfließen zu lassen. Die Ansätze sind auf alle Fälle positiv zu bewerten – der Faktor „Mensch“ generiert noch eine Fülle an Herausforderungen.

Die Wissenschaft und vor allem die Fahrzeugnutzer werden in naher Zukunft die Weichen dahingehend stellen, welchen Bedarf wir mit welchen Systemen abdecken werden. Unter anderem werden Fahrzeuglenker mit modernen Mobilitätskonzepten konfrontiert und ihr Mobilitätsverhalten entsprechend darauf anpassen. Mittels „humanisierten“ Bedientechnologien kann die Bereitschaft zur effizienten Anwendung nachhaltig gefördert werden.

So wird die derzeit noch eher unpopuläre Elektromobilität auch erst dann eine große Akzeptanz finden, wenn erkannt wird, dass es nicht ein Reichweitenproblem ist, das den größeren Zulauf verhindert, sondern ein Energiemanagementproblem. Die Mobilität 3.0 ist die effiziente Fortbewegung durch individuelle Vernetzung – ein Zusammenspiel des heute bekannten Fahrzeugs mit der Informations- und Kommunikations-Technologie und weiteren Fortbewegungsangeboten. Dieses Zusammenspiel korrekt zu nutzen, wird der wahre Treibstoff der Zukunft sein.

Literaturverzeichnis

[1] Moor, G. (1965):
Zeitschrift Electronics International,
„Integrierte Schaltkreise“

[2] Buxton, W. (2001):
The Invisible Future: The seamless integration of technology in everyday life,
„Less is more“

[3] Kortus-Schultes, D. (2005):
Geschlechterspezifische Unterschiede,
„Ergebnisse der großen Marktforschungsstudie ‚Männer – Auto‘ und Frauen – Index‘ “,
Hochschule Niederrhein

[4] Tscheligi, M. (2013):
CHI ’13 Extended Abstracts on Human Factors in Computing Systems,
„Automotive HMI test package: an exploitable approach to study in-car HMIs“,
Universität Salzburg

[5] Cooper, J., Ingebretsen, H., Strayer, D., (2014):
„Mental Workload of Common Voice-Based Vehicle Interactions across Six Different Vehicle
Systems“
AAA Foundation for Traffic Safety

0 Kommentare

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlassen Sie uns Ihren Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte lesen Sie unsere Datenschutzerklärung bevor Sie Ihren Kommentar abschicken:
Dieses Formular speichert Ihren Kommentar, Namen, E-Mailadresse und Website (falls Sie diese angeben) auf unserem Server. Damit können wir etwaigen Missbrauch nachverfolgen. Mehr Informationen über die Datenspeicherung finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.